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Disposition im Zeitalter von Industrie 4.0

Wenn der Handel die Läger abschafft, dann muss die Industrie nicht den Puffer spielen – Industrie 4.0 ist in aller Munde

Was nutzt aber eine bis ins Detail vernetzte Produktionswirtschaft, wenn schwankende Bedarfe sofort bedient werden sollen und der Handel keine Lager mehr betreibt? Ein stets volles Fertigwarenlager beim Hersteller kann auch keine Lösung sein. Wie kann man aber die Wertschöpfung entlang der Supply Chain so disponieren, dass man eine hohe Lieferbereitschaft bei niedrigsten Beständen erhält?

Mit Lösungen wie ‚Logistik 4.0‘ will man die Absatzzahlen zwischen Hersteller, Handel und Endkunde noch genauer auf den Punkt bringen und im Idealfall mit intelligenten Maschinen in Losgröße 1 reagieren. Doch all diese Bemühungen im Absatzkanal vom Fertigprodukt beim Hersteller bis hin zum Endabnehmer führen nicht zum Erfolg, wollen Hersteller diese zum Teil stark schwankenden Bedarfsmeldungen immer schnellstmöglich, beispielsweise binnen 24 Stunden, bedienen.

Hierfür müssten sie entweder sehr hohe Bestände im Fertigwarenlager vorhalten oder aber Fertigungskapazitäten in der Produktion. Beides ist außerhalb der Spitzenlastzeiten überflüssig, somit auch teuer, und bindet Kapital. Industrielle Hersteller suchen deshalb nach Möglichkeiten, dies alles günstiger umzusetzen, um letztlich dem Händler und Endkunden attraktive Preise anbieten zu können. Das Potenzial ist enorm: Neben der Kapitalbindung, die an sich ja schon zu totem Kapital führt, liegen sogar 19 bis 30 Prozent an laufenden Kosten in den Beständen, die sich aus Kapitalkosten, Versicherungen, Verwaltung, Bereithaltung von Lagerkapazitäten und so weiter ergeben. Diese Kosten muss letztlich der Markt bezahlen, wenn die Logistikkette nicht stimmt. Wie kann man aber die Lieferbereitschaft möglichst noch steigern und gleichzeitig die Bestände abbauen?

Dispositionsprozesse optimieren

In erster Linie ist das eine Frage von besseren Dispositionsprozessen. Man kann beispielsweise Schnelldreher in kürzeren Abständen liefern. Das reduziert die Lagerkapazitäten. Selten nachgefragte Produkte wiederum fertigt man bei Bedarf und verbannt sie direkt aus dem Fertigwarenlager. Zudem kann man den logistischen Entkopplungspunkt durch Modularisierung möglichst weit wertstromaufwärts verschieben und so Bestände über die gesamte Supply Chain hinweg abbauen. In der Praxis werden allerdings viele logistische Stellgrößen aus dem Bauch geplant und ohne Beachtung der Zusammenhänge ausgeführt. Einen Palettenplatz im LKW mit Langsamdrehern zu füllen, nur um Frachtkosten zu sparen, treibt in der Summe schnell die Lagerbestände in die Höhe. Bei einzelnen Optimierungsmaßnahmen ist daher stets die gesamte Supply Chain im Auge zu behalten.GAH-Warenpräsentation für Heimwerker-profile

Ein Unternehmen aus der Metallbranche, das Zulieferer für Baumärkte ist, hat es beispielsweise geschafft, seine Bestände deutlich zu senken und gleichzeitig den Lieferbereitschaftsgrad zu steigern: GAH Alberts. Der Hersteller von unter anderem Beschlägen, Profilen und Zauntechnik konnte kurzfristig 13 Prozent und innerhalb von neun Monaten satte 53 Prozent der Bestände reduzieren. Mehr als die Hälfte des Fertigwarenlagers war also mit Material bestückt, welches nicht unmittelbar benötigt wurde, in dem Bemühen, dadurch eine hohe Lieferbereitschaft zu erreichen.

Ein Hersteller von Lampen und Leuchten musste die Herausforderung meistern, dass ein Teil der Komponenten seiner Produkte in China gefertigt werden. Die Lieferzeiten betragen hier zwischen 60 und 150 Tagen. Die Kunden, Fach- und Großhandelsunternehmen, fordern jedoch durchgehend höchste Lieferbereitschaft. Täglich laufen ca. 20.000 Kundenauftragspositionen, größtenteils mit einer Lieferfrist von 24 Stunden, ein. Auf der Beschaffungsseite ist daher ein ausreichend hoher Bestand erforderlich. Verändert sich nun die Bedarfssituation auf Kundenseite, werden die zuvor lange im Voraus beschafften Artikel nicht mehr benötigt und somit zu Überbestand, den es durch geschickte Planung möglichst weitgehend zu vermeiden gilt.

Nachfrageschwankungen managen

Fast jedes Unternehmen hat mit Nachfrageschwankungen zu kämpfen, sei es bei der Einführung neuer oder der Abkündigung alter Produkte, bei Wettbewerbsaktionen oder bei einer sich generell verändernden Nachfrage aufgrund von saisonalen Schwankungen, Wirtschaftszyklen und sonstigen Krisen. Dabei reichen in der Hochphase der Nachfrage die verfügbaren Kapazitäten in der Produktion oft nicht aus, vollständig marktsynchron zu fertigen. Man muss also die Mengen, die man plant zu verkaufen, teilweise schon Wochen oder gar Monate vor dem geplanten Absatz fertigen. Bei ungenauer Absatzplanung kann wegen fehlenden Materials Umsatz nicht realisiert werden und es fallen evtl. Konventionalstrafen seitens der Kunden an. Andere Materialien wiederum verbleiben als Ladenhüter im Lager.

Methoden- und Tool-Kompetenzen

Artikelportfolio muss nach ABC/XYZ-Kriterien strukturiert werden, um die Disposition optimieren zu können

Um solche Herausforderlungen zu meistern, sind besondere Methoden- und Tool-Kompetenzen gefragt. Bei dem Lampenhersteller beispielsweise wurde eine umfassende Klassifizierung des Artikelsortiments nach

  • ABC = wirtschaftliche Bedeutung,
  • XYZ = Regelmäßigkeit des Verbrauchs,
  • STU = Anzahl Kunden pro Artikel sowie
  • ELA = Lebenszyklus

durchgeführt …

Diese Klassifizierungsmerkmale stellen wichtige Größen für die Entscheidung dar, welche Planungs- und Dispositionsparameter für welchen Artikel eingestellt werden sollten. Auf der Basis dieser Klassifizierungsmerkmale und weiterer Einflussgrößen wurde ein Regelwerk erstellt, das genau festlegt, welche Artikelklassen wie zu planen und zu disponieren sind. Mit solchen grundlegenden Analysen und Regelwerken lassen sich bestehende Bestände zügig senken und gleichzeitig kann die Lieferbereitschaft gesteigert werden.

Aber all diese Analysen und daraus abzuleitende Maßnahmen reichen nicht aus, wenn sie nicht mit Hilfe eines geeigneten Softwaresystems angewendet werden können. So mussten bei einem Armaturenhersteller etwa die Melde- und Sicherheitsbestände ohne Systemunterstützung durch das ERP ermittelt werden. Insbesondere bei den Sicherheitsbeständen fiel auf, dass sie je nach zuständigem Disponenten auf verschiedene Arten berechnet wurden oder aber lediglich aus Erfahrungswerten resultierten. In der Disposition von Kaufteilen z. B. wurden Bestände pauschal einmal pro Woche überprüft statt Handlungsbedarf durch das ERP-System aufzeigen zu lassen. Der Gesamtprozess war trotz ERP-System stark manuell geprägt, sehr aufwendig und damit auch trotz größter Sorgfalt fehleranfällig.

Das Beispiel zeigt: Um die gesamten „Big Data“ aus der Supply Chain 4.0 überhaupt nutzen zu können, müssen viele Serien- und Variantenfertiger erst einmal die Dispositions-Prozesse vor dem Fertigwarenlager hinreichend durchstrukturieren und dispositiv optimieren; das ist kein triviales Unterfangen.

Gute Disposition ist eine komplexe Materie

Wie komplex die Dispositionsaufgabe ist, kann man schon alleine an der Anzahl der erforderlichen Stammdaten erkennen: Je nach Zuschnitt des Artikels hat man sich um bis zu 130 logistische Parameter zu kümmern, die teilweise voneinander abhängen und sich gegenseitig beeinflussen. Die richtigen Einstellungen lassen ich nicht aus dem Bauch heraus finden oder mit einfachen Berechnungen ermitteln. Große Fehler werden aber gemacht, wenn man deshalb einzelne Parameter der Einfachheit halber zusammenfasst, indem man beispielsweise Sicherheitsbestände für die schwankende Nachfrage, Sicherheitsbestände für schwankende Fertigungsdurchlaufzeiten und Sicherheitsbestände für schwankende Lieferzeiten der Vorlieferanten in einem gemeinsamen Sicherheitswert abbildet. Kumuliert kann das nur zu mehr Bestand führen. Eine optimale Disposition braucht also entsprechend differenzierende Werkzeuge.

ERP allein reicht nicht aus

In den meisten Unternehmen existiert für Dispositionszwecke bereits ein Software-Tool: das bestehende ERP-System bzw. entsprechende Erweiterungen. Allerdings sind die meisten ERP-Systeme von ihren Funktionalitäten her generalistisch und bieten nur unzureichende Möglichkeiten zur Bedarfsprognose und Disposition. Automatismen zur kontinuierlichen Optimierung der Dispo-Parameter sind praktisch nicht vorhanden. Bei der Absatzprognose arbeiten quasi alle bekannten ERP-Systeme ausschließlich mit statistischen Verfahren, die eine sog. „normalverteilte“ Nachfrage unterstellen, wie z. B. Mittelwertverfahren oder Exponentielle Glättung. In der Praxis ist eine normalverteilte Nachfrage jedoch selten anzutreffen. Die Konsequenz: Berechnungen unter Annahme einer normalverteilten Nachfrage können zu systematisch falschen Bedarfsprognosen und Bestandsfehlern von bis zu 40 Prozent führen.

Präzises Spezialwerkzeug für Disponenten

Bleibt also festzuhalten, dass man Prognose- und Dispositionsaufgaben zwar mit einem ERP-System erledigen kann, das Ergebnis dabei aber oft weit vom Optimum entfernt liegt. Um bessere Planungs- und Dispositionsergebnisse zu erreichen, benötigen Disponenten Advanced Planning and Scheduling Software oder kurz APS-Software, die eine simulationsbasierte Planungsautomatisierung unterstützt . Solche Präzisionswerkzeuge, wie beispielsweise DISKOVER SCO von SCT, sind viel präziser auf die Planungs- und Dispositionsaufgaben zugeschnitten als generalistische ERP-Systeme, bieten zur verbesserten Planung beispielsweise viel feinere Prognose-Funktionalitäten und können so den tatsächlichen Bedarf bedeutend genauer vorhersagen. In der Praxis zeigt sich großer Handlungsbedarf, da Unternehmen mit variantenreichem Portfolio regelmäßig hunderttausende bis Millionen Euro an unnötig gelagertem Material und damit an totem Kapital einsparen können. Wichtige Liquidität, die man besser in Lösungen für die Supply Chain 4.0 investiert. Solche APS Software eignet sich in der Regel für Unternehmen ab einem Umsatzvolumen von rund 10 Mio. EUR.

Die Auswirkungen auf den laufenden Betrieb

Wir wirken sich solche Tools auf die wirtschaftliche Situation eines Unternehmens aus? Die hohe Lieferbereitschaft von oft 97-98 Prozent führt zu hoher Kundenzufriedenheit. Die Liquidität des Unternehmens verbessert sich durch verringerte Bestände und erhöhten Absatz und die Erträge steigen durch verringerte Lagerhaltungskosten und Umsatzwachstum.

Oft wird ein Teil der Bestandssenkung dadurch erreicht, dass man die Bestellmengen reduziert und dafür öfter bestellt. Das führt zwar bei den Lieferanten nicht zwingend zu besseren Konditionen, kann aber dazu führen, dass die Lieferanten ihre Chargen nun besser planen können, weil sie enger verzahnt mit dem Kunden zusammenarbeiten. Auf der Dispositionsseite wird durch die Erhöhung der Anzahl an Bestellvorgängen bei einem gut eingestellten Dispositionsregelwerk jedoch nicht mehr Personal in der Disposition benötigt, da viele Vorgänge automatisiert werden und sich die Disponenten so auf die echten Problemfälle der Disposition konzentrieren können. Insgesamt berichten Anwender von APS Software, dass sie ihre Disposition deutlich effizienter auslegen konnten und so mit vermindertem Aufwand bessere Ergebnisse erzielen. Dieses Mini-Max-Prinzip der verringerten Bestände bei besserer Lieferbereitschaft spiegelt sich auch hier wieder.

Fachartikel, ZWF – Ausgabe 12 2014, S. 973 – 975Von Andreas Capellmann (SCT) und Andreas Kemmner (Abels & Kemmner)

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